Vor allem muss gesagt werden, dass der harte antirussische Kurs Washingtons in der Europäischen Union selbst auf einen wachsenden Widerstand stößt. Quellen in Brüssel nennen etwa zehn Länder, die gegen eine Verschärfung der Sanktionen eintreten. Darunter insbesondere Frankreich, Luxemburg, Österreich, Bulgarien, Griechenland, Zypern, Slowenien und Italien, das jetzt den Vorsitz in der EU ausübt. Auch in Deutschland beeilt man sich nicht, im Fahrwasser der USA zu folgen, ungeachtet der mehrmaligen Telefonate zwischen Obama und der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und das liegt nicht nur an der Spionage-Affäre zwischen Berlin und Washington, sondern am fehlenden Wunsch der deutschen Geschäftskreise, den Wirtschaftsinteressen des eigenen Landes zu schaden.
Die Opponenten einer Verschärfung der Sanktionen verweisen darauf, dass es keine objektiven Gründe für einen derartigen Schritt gebe, dass sich Moskau nicht nur nicht in den Ukraine-Konflikt einmische, sondern die Seiten auch zu einer unverzüglichen Waffenruhe und zur Aufnahme von Verhandlungen aufrufe. Das wurde insbesondere beim jüngsten Treffen des Präsidenten Russlands Wladimir Putin mit der Kanzlerin Angela Merkel erklärt. Wie der Pressedienst des russischen Staatschefs mitteilte, haben die Seiten zugestimmt, dass die Situation in der Ukraine degradiere, sie haben die Notwendigkeit einer unverzüglichen Wiederaufnahme der Tätigkeit der Kontaktgruppe hervorgehoben, möglicherweise im Format einer Videokonferenz. Bei diesem Treffen wurde ebenso bemerkt, dass eine schnellstmögliche Waffenruhe verkündet, ein Gefangenenaustausch durchgeführt und die friedliche Tätigkeit wiederaufgenommen werden müsse.
Es ist kein Geheimnis, dass noch vor mehreren Wochen viele im Westen vermuteten oder sogar damit rechneten, dass sich Russland in den Ukraine-Konflikt einmischen und Truppen in die östlichen Gebiete der Ukraine schicken werde. Für den Kreml könne eine Eskalation der Gewalt ein Anlass sein, dennoch Truppen in die Ostukraine zu schicken, meinte in einem Kommentar der Rundfunksender Deutsche Welle. Und wie die Agentur Reuters berichtete, soll der Befehlshaber der Vereinigten Nato-Streitkräfte in Europa, der amerikanische General Philip Breedlove, sogar vermutet haben, dass die russischen Truppen durch die ganze Ukraine bis nach Transnistrien marschieren würden.
Aber gerade der Wunsch, kein noch größeres Blutvergießen in der Region und erst recht keinen umfangreichen Krieg im Herzen Europas zu provozieren, ist ein Hauptargument für Moskau gegen den Einmarsch von Truppen in das Territorium der Ukraine. Wem würde ein solcher Krieg nutzen? Offensichtlich nicht Russland, nicht der Zivilbevölkerung von Donezk und Lugansk, auch nicht den Europäern, sondern vor allem den USA. Washington würde der eigenen Krisenwirtschaft einen „Kriegsimpuls“ geben, es würde Russland endgültig mit der EU entzweien, es würde mit fremden Händen das System der Energiesicherheit in Europa zerstören, es würde die Europäer vom amerikanischen Schiefergas abhängig machen und sie zwingen, ihre Märkte für amerikanische Waren zu öffnen.
Außerdem würde eine Eskalation der Gewalt in der Region zu einem Flüchtlingsstrom führen, der fähig wäre, sogar die Maßstäbe des ehemaligen Jugoslawiens zu übertreffen. Eine derartige Entwicklung ist für Russland äußerst nachteilig, dafür entspricht sie jedoch den Interessen des transnationalen Kapitals und jenes Business in den europäischen Ländern, das Flüchtlinge und Migranten im eigenen spekulativen Interesse ausnutzt, erläuterte im Gespräch mit der STIMME RUSSLANDS der Direktor des russischen Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen Boris Kagarlizki:
„Die Arbeitgeber nutzen aktiv eine derartige Migration zur Sprengung des Arbeitsmarktes und des Lohnes der Migranten. Jede neue Migrationswelle führt ihrerseits zu einer Lohnsenkung für jene Leute, die früher gekommen waren.“
Somit ist ein „Hineinziehen“ Russlands in den Konflikt in der Ukraine politisch wie ökonomisch lediglich für gewisse westliche Kräfte vorteilhaft. Historisch gesehen gibt es ebenfalls kein Argument zugunsten eines Einmarsches russischer Truppen in die Ostukraine. Im Unterschied zur Krim, die historisch zu Russland gehörte oder die einen besonderen Status hatte, besaß „Noworossija“ weder historisch noch völkerrechtlich den Status eines Subjekts, und die gegenwärtige Entwicklung der Situation in dieser Region zeichnet sich durch Ungewissheit aus. Auf die objektiven Unterschiede in der Herangehensweise Russlands an die Situation auf der Krim und in der Ostukraine verwies im Gespräch mit ROSSIYA SEGODNYA der Präsidiumsvorsitzende des russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik, der Chefredakteur des Journals „Rossija w globalnoj politike“ (Russland in der globalen Politik) Fjodor Lukjanow.
„Russland hat dem Westen sofort zu verstehen gegeben, dass die Krim-Frage außerhalb irgendeines politischen Handels liege. Für Moskau ist diese Frage entschieden, und sie kann kein Gegenstand irgendwelcher internationaler Verhandlungen und geopolitischer Zugeständnisse sein. Die Frage hinsichtlich der Situation im restlichen Teil der Ukraine bleibt indessen offen.“
Die jüngste Geschichte von Lugansk und Donezk wird vor unseren Augen gestaltet, und die Bevölkerung dieser Gebiete muss ihr Schicksal eigenständig bestimmen – so, wie es die Bevölkerung der Krim getan hat. Zudem muss berücksichtigt werden, dass nach vorliegenden Angaben zwei Drittel der Bevölkerung Russlands gegen die Entsendung russischer Truppen in die Ukraine eintreten. Sie meinen, ein solcher Schritt würde nicht helfen, die Bevölkerung der östlichen Gebiete der Ukraine zu schützen, dafür aber würde er dem Land die Möglichkeiten für Manöver nehmen. Und solche Möglichkeiten eröffnet insbesondere die gegenwärtig in vielen europäischen Ländern eintretende „Ernüchterung“, was für die USA nicht vorteilhaft ist, dafür aber durchaus Russlands Interessen entspricht
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