Wie sich die konservativen Islamverbände wegducken
VON ABDEL-HAKIM OURGHI am 20. Juli 2016
"Vor einigen Jahren sagte der heutige Präsident der Türkei, Recep
Tayyip Erdoğan:
„Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere
Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“
Gewiss prägen solche ideologischen Sätze das kollektive Gedächtnis und
bestimmen den Umgang der türkischstämmigen Menschen mit Nichtmuslimen.
Solche Sätze sind nicht nur sinnstiftend, sondern bilden sogar eine
Barriere für die Integration der türkischstämmigen Menschen.
Und sie
sind auch die Ebnung eines Wegs für die Parallelgesellschaft, besonders
wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der türkischen Moscheen, wie etwa
die der Ditib, von diesem finanziellen und ideologischen Einfluss
abhängig sind.
Der türkische Islam wird immer islamistischer und
nationalistischer. Er bildet sogar die Basis für einen „Ghetto-Glauben“
in die Parallelgesellschaft. Es ist auch kein Wunder, dass ein Drittel
aller deutschen Gotteskrieger in Syrien und im Irak türkischstämmig ist.
Aus Dinslaken-Lohberg ist eine Gruppe von 22 Jugendlichen geschlossen
in den „Heiligen Krieg“ gezogen. Auch die Ditib-Jugendlichen posierten
mit dem Finger als Siegeszeichen des IS im Netz. Auf der Internet-Seite
der Ditib-Gemeinde in Melsungen sind im Jahre 2015 antisemitische
Hetzparolen übelster Sorte gegen die Juden aufgetaucht.
Der Beitrag der Islamverbände zur Radikalisierung
All diese Extremisten sind Muslime und sie verbindet die
religiös-politische Sozialisation durch die Importimame aus der Türkei
in den türkischen Gemeinden. Hierbei leisten einige der Moscheen als
Vorstufe der islamistischen Radikalisierung einen massiven Beitrag. Dies
führt dazu, dass die Kluft zwischen einer modernen und einer
konservativ-religiösen Identität größer wird. Scharfe
Identitätskonflikte, die zur Entfremdung der Kinder von der westlichen
Gesellschaft und zu einer Stärkung der Bindung an die Herkunftsländer
der Eltern führen, sind durch Wochenend-Koranunterricht im Rahmen einer
„Pädagogik der Unterwerfung“ in den Moscheen vorprogrammiert.
Die
Formel „Allahu Akbar“ (Gott ist am größten) riefen die Imame in den
Moscheen in der Türkei, um die Menschen gegen den fragwürdigen Putsch in
der Nacht vom Freitag auf Samstag zu mobilisieren. Auch in vielen
deutschen Städten und in Wien sind Tausende türkischstämmige
Demonstranten auf die Straße gegangen. Einige unter ihnen riefen „Allahu
Akbar“, um ihre Solidarität mit dem Despoten von Ankara zu verkünden.
Als Zeichen ihrer Überlegenheitsideologie riefen bereits die
christlichen Kreuzfahrer „Deus vult“ (Gott will es!). Auch die
Islamisten fühlen sich durch „Allahu Akbar“ als Schlachtruf mit dem
Islam verbunden. Nicht nur die Terroristen von Paris, Brüssel, Madrid,
Bagdad und Würzburg brüllten diese islamische Glaubensformel heraus,
sondern Islamisten aller Couleur in der ganzen Welt.
„Allahu Akbar“ als Schlachtruf
„Gott ist am größten“ wird im Hocharabischen als „Takbir“ bezeichnet
und ist eigentlich ein Aufruf der Muslime zum gemeinsamen friedlichen
Gebet in den Moscheen, der als Ausdruck mehrmals zu wiederholen ist.
„Allahu Akbar“ ist im Koran zu lesen als: „Preise deinen Herrn“ (Koran
74:3), oder „und preise ihn allenthalben!“. Im Kern sagt diese Parole
nichts über die Religiosität des Sprechers aus. Jedoch hat dieser Satz
im politischen Sinn als Schlachtaufruf eine wundersame Kraft als Symbol
für Zugehörigkeit zur muslimischen Gemeinde und betont die Bekämpfung
der Gegner des Islams durch Gewalttaten. Der Satz soll „Angst in den
Herzen der Ungläubigen hervorrufen, denn wir [die Extremisten] leben den
Tod und die anderen leben das Leben“.
Während Schauplätze
des islamistischen Terrors nicht nur Länder in der islamischen Welt
sind, sondern längst auch westliche Metropolen, blieb Deutschland bis
zur Axt-Attacke von Würzburg lange Zeit verschont. Deutschland ist auch
nicht mit Frankreich mit seiner kolonialen Geschichte und seiner
desaströsen Integrationspolitik zu vergleichen. Sicherheitsbehörden
gehen jedoch insgesamt von 8.900 Salafisten in Deutschland aus. In NRW
sind es zurzeit 2.700, von denen 640 als gewaltbereit eingestuft werden.
Genauer gesagt: Es handelt sich um tickende Zeitbomben – Tendenz ist
steigend.
Islamverbände als bequeme Apologeten
Auch wenn
es ironisch klingt, droht die Gefahr nicht von den Salafisten, denn die
Sicherheitsbehörden leisten hier eine hervorragende Arbeit. Viel
gefährlicher sind die sogenannten „moderaten Islamisten“, die nichts für
den sozialen Frieden unternehmen und ständig betonen, dass es keinen
Extremismus in ihren Gemeinden gibt. Mit Pathos wiederholen sie, dass
der Islam mit dem Islamismus nichts zu tun. Zu diesen bequemen
Apologeten gehören die konservativen Dachverbände wie die Ditib und der
Zentralrat der Muslime, die einerseits die meisterhaft stilisierte
Pflege der Opferrolle bevorzugen, andererseits in der Öffentlichkeit
Akzente auf den Ton des Überlegenen setzen, der zu fordern und nicht so
sehr zu geben hat. Ihre konservative Islamkonzeption und ihre ständig
manipulativ zum Ausdruck gebrachte weinerliche Opferhaltung werden
gewiss keinen Beitrag zur Integration der hier lebenden Muslime und der
Deradikalisierung der Islamisten leisten.
Die konservativen
Dachverbände beherrschen kunstvoll das rhetorische Spiel. Einerseits
verkaufen sie den Islam politisch ambitioniert nach außen als „Religion
des Friedens“, andererseits predigen sie ihn heimlich in den Gemeinden
nach innen als „gottesrechtliche Gesellschaftsordnung“. Angesichts
dessen kann man nur tief besorgt sein. Auch der Vorwurf der Islamophobie
gegen ihre Kritiker ist eine gut durchdachte Strategie, um nicht nur
ihr Islamverständnis im westlichen Kontext unangreifbar zu machen,
sondern auch die Macht der konservativen Dachverbände in der
Öffentlichkeit zu stärken.
Es ist für mich als liberalen Muslim
würdevoll zu sehen, wie sehr die Politiker der etablierten Parteien und
die beiden Kirchen um Dialog mit den konservativen Dachverbänden bemüht
sind. Eine Gefahr, die ich jedoch konstatiere, ist, dass durch die
dominierende Kultur der an sich löblichen politischen Korrektheit ein
mutiges Ergreifen des kritischen Wortes und das Aussprechen unangenehmer
Wahrheiten vermieden werden, um sich nicht den Zorn und die Wut der
muslimischen Minderheitsgesellschaft auf sich zu ziehen. Hilflosigkeit
und Überforderung auf Seiten politischer Entscheidungsträger werden es
aber den Dachverbänden ermöglichen, einen konservativen Islam zu
etablieren – einen Islam, der mit einer säkularen und pluralistischen
Staatsordnung und den damit verbundenen Werten nicht vereinbar ist.
Selbstverständlich darf der Staat Moscheen observieren
Die AfD und die Rechten haben wahrlich an Stärke und Macht gewonnen,
weil unangenehme Themen tabuisiert worden sind. Die Politiker haben es
nicht geschafft, eine mutige und differenzierte Debatte in der Mitte der
Gesellschaft über den Islam und die Muslime zu führen. Es muss möglich
sein, kritisch zu begründen, warum man der Meinung ist, Richterinnen
sollten kein Kopftuch tragen oder darüber zu diskutieren, ob der Terror
mit einem bestimmten Islamverständnis zu tun hat oder ob ein
muslimischer Student seiner Lehrerin die Hand schütteln sollte oder
nicht. Durch derart ehrliche und mutige Debatten auf der Grundlage der
Vernunft beginnt die Prävention statt die Intervention. Denn im
Vorbeugen statt dem reflexartigen Agieren liegt die fundierte Basis für
ein friedliches Zusammenleben zwischen Muslimen als Minderheit und
Nichtmuslimen als Mehrheit.
Mit der Prävention meine ich
rechtzeitig ergriffene Maßnahmen zur Vermeidung von unkontrollierbaren
Zuständen. Selbstverständlich darf der Staat jederzeit die Moscheen
observieren. Moscheen, in denen ein erzkonservativer Islam durch
verfassungsfeindliche Predigten zur Radikalisierung beiträgt, müssen
durch Gerichte geschlossen werden. Zum Wohle der Freiheit in dieser
Gesellschaft und zum Mut von Politik und der beiden Kirchen gehört die
Einsicht, dass durch die Zusammenarbeit mit muslimischen Dachverbänden
ein Fehler begangen wird. Die politische Ideologie der konservativen
muslimischen Dachverbände und die Gefährlichkeit ihres religiösen
Diskurses darf nicht unter den Tisch gekehrt werden.
Sowohl
Politik als auch Kirchen sollten zwischen einem modernen und
humanistischen, Islam auf der einen und einem orthodoxen und archaischen
Islam auf der anderen Seite unterscheiden. Nur ein moderner und
humanistischer Islam ist mit den säkularen Gesetzen des demokratischen
Rechtsstaates und den Menschenrechten vereinbar. Politik sollte darauf
bedacht sein, nicht die Stimmen der muslimischen Wähler wichtiger zu
nehmen als den aufgeklärten und modernen Islam.
Der nicht reformierte Islam passt in keine freiheitliche Gesellschaft
Denn der nicht reformierte Islam der Dachverbände passt in keine
freiheitliche und pluralistische Gesellschaft. Und tatsächlich sind die
konservativen Verbände noch meilenweit davon entfernt, einen
aufgeklärten, humanistischen Islam zu etablieren, der ihnen eine den
Kirchen vergleichbare Rolle in der deutschen Gesellschaft ermöglichen
würde. Als Alternative bei der Etablierung eines humanistischen und
modernen Islams wäre seitens des Staates die Gründung eines bundesweiten
Rates denkbar, der sich aus muslimischen grundgesetzestreuen
Persönlichkeiten zusammensetzt und in dem sowohl Sunniten als auch
Schiiten, wie auch andere Glaubensgemeinschaften vertreten sind.
Die ausländische Finanzierung der konservativen Dachverbände, die nur
fünfzehn Prozent der hier lebenden Muslime vertreten, muss per Gesetz
gestoppt werden. Nur dadurch kann der ideologische und religiös
konservative Einfluss auf die Muslime eingedämmt werden. Auch der Import
der Imame, die blinden Gehorsam predigen, die religiös-konservative
Interessen verfolgen und die auch politische Ziele wie zum Beispiel die
Stärkung der Bindung an die Herkunftsländer der Eltern zum Ziel haben,
muss verboten werden. Hierbei müssen die islamisch-liberale Theologie
und die Religionspädagogik wie an der Universität Münster und an der
pädagogischen Hochschule Freiburg verstärkt unterstützt werden.
Wo waren die Demonstrationen der Muslime nach den Anschlägen in
Würzburg, Nizza, Paris oder in anderen Städten? Der kollektive Aufschrei
aller Muslime gegen den politischen Islam wird stark vermisst,
insbesondere wenn man die Demonstrationen der türkischstämmigen Bürger
bei der Unterstützung des türkischen Präsidenten in Betracht zieht. Wir
Muslime, besonders die hier lebenden Muslime, müssen mit einer mutigen
Debatte über den Islam und seine Geschichte beginnen. Die kritikfähige
und diskursive Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen und
kollektiven Islamidentität bildet eine Voraussetzung für einen
toleranten Umgang und ein Zusammenleben der Muslime mit der
nichtmuslimischen Mehrheit. Zunächst muss die Freiheit des Individuums
als höchstes Gut auch im Islam verankert werden. Auch
Meinungsverschiedenheit und -freiheit müssen pointiert akzentuiert
werden.
Gewaltvolle Koraninhalte nicht verharmlosen
Allah
ist kein Tyrann, der sehnsüchtig auf die höllische Bestrafung seiner
Menschen wartet. Gott ist gnädig und barmherzig (Koran 3:31; 5:34; 11:41
und 12:35). Die Juden und die Christen sind nicht diejenigen „die
Deinem Zorn verfallen sind und irregehen“! (Koran 1: 6-7), denn keine
Religion besitzt die absolute und exklusive Wahrheit. In Sure 2, Vers
120, werden sowohl Mohammed als auch die Muslime aufgefordert, Juden und
Christen zu meiden. Jedoch gibt es überall gute und böse Menschen und
sogar Atheisten sind berechtigte Ansprechpartner. Wir Muslime sind nicht
„die beste Gemeinschaft, die Gott je gestiftet hat.“ (Koran 3:110).
Denn jede Gemeinschaft kann durch ihre im Diesseits gestifteten guten
Taten die beste sein.
Und ohne Zweifel bieten Koranpassagen
Anknüpfungspunkte für die heutige Gewalt und die Unterdrückung der
Frauen. Diese radikalen Koraninhalte dürfen nicht mehr verharmlost und
in den Moscheen ignoriert werden. Es ist unsere essenzielle Aufgabe, sie
als historisch-politische Äußerungen mit nur einer temporären
Gültigkeit anzuerkennen. Sie sind sogar revisionsbedürftig. Sonst wird
sich der Islam mit den europäischen Werten nie versöhnen."